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Falsche Journalisten am Buffet

 

 

"Darf es noch ein Champagner sein?" Der eisgekühlte Aperitif perlt verführerisch im Schein der Lüster des Hotel Louis C. Jacob. Natürlich wird Claudia Hansen noch ein Gläschen nehmen. Lautlos, fast hastig geht der Drink vom Tablett. Das "Sehr zum Wohle" des Kellners geht ins Leere. Frau Hansen wendet sich bereits den Häppchen zu und zeigt dem Champagnerboten die kalte Schulter.
An diesem Abend im November 1997 ist die Veranstaltung im kleinen Saal des Luxus-Hotels an der Elbe komplett ausverkauft. Knapp dreihundert Hamburger haben den Weinabend eines großen Handelshauses für gut 150 Euro gebucht. Die geladenen Journalisten sind handverlesen. Wein- und Wirtschaftsschreiber, Society-Reporter.
Umso mehr wundert sich der neue Direktor über die schlicht gekleidete Frau, die mit gerötetem Kopf bereits den vierten Champagner vor dem Essen degustiert. Die im Hause zuständige PR-Dame ist ebenso alarmiert wie ratlos. "Die Blonde am Balkon? Ich glaube sie heißt Clasen und arbeitet beim NDR." Komisch. Die Tischordnung führt sie unter dem Namen M. Schmidt, freie Journalistin.
Das interessiert auch den neuen Direktor, der eine Lokaljournalistin um Schützenhilfe bittet. "Guten Abend. Schön, dass wir Sie heute begrüßen dürfen! Darf ich fragen, für wen Sie schreiben?" "Hallo! Sie sind der neue Direktor, stimmt's?" Keineswegs hilflos prostet die Dame mit dem halbleeren Glas der Lokaljournalistin zu. "Und Sie sind Frau Biers, richtig?" Die Boulevardschreiberin kontert: "Nein. Sie arbeiten beim NDR?" - "Biert?, von der Morgenpost, oder?" Langsam dämmert dem verdutzten Direktor, wie Frau Clasen alias Schmidt alias Hansen auf die Veranstaltung kam: Sie gibt sich als bekannte Journalistin aus und baut darauf, dass diese am Empfang nicht persönlich bekannt ist.
In Journalistenkreisen wird über die Geschichten der Frau Hansen, die heute unter dem Namen Claudia John auf Hamburger Empfänge und Weinproben geht und auf ihrer selbst geschnippelten Visitenkarte als "Agentur für Gästezimmer" auftritt, gern gelacht. Schließlich futtert sie sich immer noch erfolgreich von Event zu Event.
Die Verantwortlichen im Louis C. Jacob fanden die Sache schon damals nicht komisch. Schließlich ist die Wein-Veranstaltung ein wichtiges Marketing-Instrument zur Gästebindung und Neukundengewinnung, die Jahr für Jahr verkauft werden soll. Auch der enagierten PR-Agentur war die Sache peinlich. "Wir wissen gar nicht, wie die auf die Liste kommen konnte", gestand die Verantwortliche.
Wir schon. Für hochkarätige Einladungen benötigen wortgewandte Möchtegern-Schreiber nämlich lediglich ein Fax, ein paar Bekannte und eine halbwegs anständige Garderobe.
Für die Agenturen stellt diese Kategorie der Blender das größte Problem: Wortgewand und gut gewandet rutschen sie unbemerkt auf der Veranstaltung und sind auf den ersten Blick schwer zu erkennen.
Norbert Witt beispielsweise, ebenfalls seit Jahrzehnten in Hamburg unterwegs, betreibt angeblich die Agentur Public Media. Herr Witt ist immer zur Stelle, wenn es etwas zu Eröffnen oder zu Feiern gibt. Auch ohne Einladung. Ein vertrautes Nicken am Eingang - schon ist der stets in Eile scheinende "drin". Bei einer Veranstaltung des "Top Magazins" von Thomas Rogalla Ende 2004 war Witt genauso schnell wieder draußen. Der Verleger kennt den Blender und setzte ihn vor die Tür. Meist aber schafft es Witt, eine Faxnummer zu hinterlassen, um an die nächste Einladung zu kommen. Mit den Antwortformularen versorgt er dann "Kollegen". Die lassen sich das unausgefüllte Formular zufaxen, tragen den eigenen Namen ein und kommen so ebenfalls in den Genuss von Häppchen, Champagner & Co, wo sie dann wiederum eine Visitenkarte hinterlassen, so dass "die Austrocknung des Sumpfes nur Stückweise erfolgen kann", wie Asger Schubert, stellvertretender Geschäftsführer bei C & C, Deutschlands führender Agentur für Hotellerie und Tourismus, gesteht.
Der funktioniert überall bestens. In Hamburg gibt es, so Schubert, "eine regelrechte Mafia". Die Frankfurter Agentur reagiert mit personalisierten Antwortfaxen. Schnorrer kontern mit erhöhter Kreativität. Während die Berliner Blender den Namen des echten Journalisten durchstreichen und durch den eigenen ersetzen, wie Kristina Vinzing von HWBA PR, Bad Weilbach, berichtet, kopieren die Hamburger die Adresse ohne hässliche Spuren an die richtige Stelle. "Es ist wie mit einer Motte in der Müslitüte", lacht Schubert. "Ist die Packung erst geöffnet verbreiten sich die Biester im ganzen Haus." Vinzing kennt das Problem bestens. Auf einem Berliner Event entpuppte sich ein sattes Drittel der Geladenen als Blender. "Die waren verabredet, saßen mit neun Personen an einem Tisch und amüsierten sich prächtig!"
Der Gastronom sitzt dabei gleich mehrfach in der Klemme: Einerseits will er den Betrieb vermarkten und ist auf die Medien angewiesen, die ihm Gäste und Umsatz bringen. Andererseits verursachen die Schnorrer Kosten und werden von der PR-Agentur geladen oder sogar geduldet.
Denn ebenso populär wie das Parasitenwesen ist der so genannte "No Show", also das Nichterscheinen trotz Zusage. Und wenn von 20 erwarteten Journalisten 18, wie im Herbst 2004 auf einer Präsentation Chilenischer Weine in Hamburg wegbleiben, ist die Lage ebenso prekär. "Den sechs Ungeladenen die Tür zuzuschlagen ist unklug", sagt Schubert. "Vielleicht sind es neue oder junge Kollegen. Die sind auch kompetent, etwas abzusetzen." Da fällt der ohne hin schwierige Differenzierungs-Prozess doppelt schwer.
Obwohl als Kostenfaktor durchaus präsent - ein Schnorrer am Buffet kostet bis zu 35 Euro, beim gesetzten Dinner bis zu 110 Euro plus Give-Away, fällt der materielle Verlust für Viele weniger ins Gewicht. "Ob wir nun 20 oder 23 Essen haben, macht den Kohl nicht fett", sagt Schubert. Mancher Gastronom wird dem zustimmen. Anja Mikulla (Mikulla PR, München) sieht das anders. "Natürlich kann man es darauf anlegen, den Event möglichst voll zu bekommen. In Rechnung stellen würde ich dem Kunden das Essen für die Blender jedoch nicht."
Dafür gilt es jedoch zunächst, das schwarze Schaf auch als solches zu erkennen und adäquat zu handeln. Ein Großteil sind nämlich Journalisten älteren Semesters, die in der Vergangenheit rentable Marketing-Partner waren und heute weniger oder gar nichts mehr absetzen. Die, da sind sich die Agenturen einig, hat man aus Höflichkeit dabei und duldet, dass sie sich mitunter selbst einladen. Blender-Kategorie Nummer zwei ist leichter zu outen: "Wer schlecht gekleidet mit befleckter Hose sturztrunken am Buffet zusammenbricht muss gehen", skizziert Ansger Schubert das Horrorszenario jeder Agentur. Tritt der Schnorrer hingegen anständig auf wird er in der Regel erst nach dem Event vom Verteiler gestrichen. Intelligente Fragen kommen beim Kunden (Gastronomen) immer noch besser an als ein leerer Saal.
Schnorrer-Gruppe Nummer drei sind so genannte Gelegenheitsjournalisten, die für Publikationen mit geringer Auflage wie Heimatzeitungen, Anzeigenblätter oder Wochenblätter arbeiten. In diese Kategorie fällt etwa der in Hamburg auftretende Herr Maidenhead. Der wehrt sich zwar heftig gegen Wahrheiten von renommierten Kollegen wie Carsten Hennig, der ihn jüngst in der Internetzeitschrift Hottelling outete, nutzt seinen Presseausweis aber auch gern, um Veranstalter an der Nase rumzuführen. Bei einer Münchener Agentur etwa gab Maidenhead sich als Mitarbeiter der Lebensmittelzeitung aus. "Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass die gar keinen Korrespondenten in Norddeutschland haben", klagt eine Mitarbeiterin der Agentur.
Vor allem für Gastronomen und Hoteliers lohnt sich die Recherche. Eine Woche lang beherbergte und verköstigte ein luxuriöses Ferienhotel in den Südstaaten der USA den angeblichen Mitarbeiter einer Architektur-Zeitschrift von Gruner & Jahr. Erst eine Woche später, als der echte Reiseredakteur einchecken wollte, flog der Schwindel auf.
Hierzulande klagt man vor allem Berlin über die Parasiten. Grund genug für das Australian Tourism Board bei der ITB-Party im Wasserwerk einen Lichtbildausweis am Einlass zu verlangen. "Letztes Jahr war einer der Geschäftsführer zehnfach vertreten", argumentierte man dazu an der Tür.
Aber auch außerhalb der Messezeit sind Berliner Hotels und Restaurants ein beliebtes Ziel für Abzocker. "Gerade im Sommer häufen sich die Anfragen von angeblichen Journalisten, die drei kostenlose Nächte fordern und sich von Luxusherberge zu Luxusherberge schnorren", erklärt PR-Leiterin Kerstin Riedel vom Grand Hyatt Berlin. Die angeblichen Schreiber geben dem Hotel einen Zeitraum von etwa zwei Wochen für einen möglichen Aufenthalt an. Die Angaben der geplanten Veröffentlichungen fallen weniger präzise aus. "Im Zweifelsfall haken wir nach und fragen, ob es sich um einen Hotel- oder Berlinartikel handelt und für welches Magazin", erklärt Riedel.
Doch selbst gegen gute Recherchen sind die Blender noch gefeit. Der Deutsch-Däne Torben von Rath etwa, immer dabei wenn es in Hamburg kostenlos gutes Essen und Getränke gibt, tritt stets mit einer Freundin auf, die tatsächlich bei einem großen Verlag in Hamburg arbeitet und eine entsprechende Visitenkarte präsentieren kann. Dass die Dame nicht über Gastronomie oder Wein schreibt, steht auf einem anderen Blatt. Auch die Publikationen, die von Rath in seinem "Redaktionsbüro Nord" der "pd news a jou-press" angeblich produziert, hat in Hamburg noch niemand gelesen. Von Rath selbst ist "Redakteur DJV". Wenigstens auf seiner Visitenkarte. "Das kann theoretisch jeder auf seine Karte schreiben", erklärt der Pressesprecher des DJV in Berlin, Hendrik Zörner, dazu. Gemeint sind natürlich DJV-Mitglieder. Auskunft über eine bestehende Mitgliedschaft von Thorben von Rath will Zörner jedoch aus Datenschutzgründen nicht geben. Zugriff auf die Datenbank der freien Journalisten im DJV, die von diesen selbst im Internet eingerichtet wird, haben nur DJV-Mitglieder. Gastronomen oder PR-Agenturen tappen bei ihren Recherchen also erst einmal im Dunkeln.
Bei den Erläuterungen der journalistischen Tätigkeit oder geplanter Veröffentlichungen erweisen sich die Blender oft als gewiefte Redner, die den Eindruck erwecken, sie seien stets mega-busy: "Ich recherchiere für G+J und so, über Wein", gab etwa ein Herr Namens Ulf Weisbach bei einem Pressedinner im Hamburger Restaurant Allegria im April 2004 zu Protokoll. Dass ihn in Hamburg keiner kannte, verwunderte wenig. Schließlich lebt er nach eigenen Angaben in Frankreich. Traurige Realität: Weisbach gelangte als Anhang eines echten Journalisten auf die Veranstaltung.
Angeblich feiert auch Claudia John alias Clasen, Hansen oder Schmidt ausschließlich als Begleitung von Journalisten. Das jedenfalls behauptete sie im März 2005 auf telefonische Nachfrage durch die Redaktion. Der Hamburger Boulevardpresse gegenüber, die sie unter dem Namen "Katharina G." in den Klatschspalten führt, äußerte sie sich realistischer: "Mein Motto ist Dreistigkeit", gab sie im März 2005 offen zu. Das sie scheinbar weniger aus materieller Not als dem Wunsch nach Publicity handelt, zeigte ihr Auftritt am 15. März im East Hotel, wo sie einen wenig professionellen, dafür aber um so wirkungsvolleren Teil-Striptease hinlegte, den die Hamburger Morgenpost in der Ausgabe vom 18. März 2005 prompt mit einem Oben-Ohne-Foto von "Katharina" belegt.
Berliner Hoteliers möchten sich derartige Peinlichkeiten ersparen. Gemeinsam mit Gastronomen gründeten sie daher eine Art Selbsthilfegruppe: Die PR-Verantwortlichen aus dem Adlon, Dorint, Intercontinental, Grand Hyatt, Ritz Carlton und anderen Häusern schließen sich bei Anfragen dubioser Journalisten kurz und erstellten eine Liste mit schwarzen Schafen. "Die", verrät Kerstin Riedel, "umfasst inzwischen knapp drei Seiten". Und die Fortsetzung, da sind sich alle einig, folgt.

Nachschlag: Alle Fakten und Namen dieser Reportage wurden nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert. Alle genannten "Journalisten" sind der Autorin persönlich bekannt. Ebenso die geschilderten Begebenheiten.

 

Natürlich waren die Betroffenen nicht begeistert, Einige haben uns kontaktiert. Wir haben uns darüber gefreut.

 

So bekamen wir im Juli 2007 Post von einem Herrn Hartmut Pagenkopf. Ohne Briefkopf aber mit Firmenstempel (Tannenhof 5, 25335 Bockhlt-Hanredder, Telefon 04123 - 33 18). In seinem Schreiben ohne exaktes Datum ("im Juli 2007") droht Pagenkopf, "den Rechtsbeistand seines Journalistenverbandes einzuschalten" und für den Fall, dass ich diese Rufschädigenden Äußerungen nicht sofort aus dem Netz nehme "eine einstweilige Verfügung und Strafanzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede einzuleiten".

Schön, dass auch die Kollegen meine Texte lesen. Ich bin gespannt, auf die Reaktion meines Journalistenverbandes, den ich ebenfalls "im Juli 2007" konsultieren werde.
Bis dahin habe ich den Namen von Herrn Pagenkopf aus dem Artikel entfernt und durch einen anderen ersetzt. Insider und meine Informanten dürften wissen, wer gemeint ist.

 

 

Fazit: Auch in Zukunft werden wir nicht um den heißen Brei herumreden, sondern dafür sorgen, dass jeder sein wohl verdientes Fett weg bekommt.

 

 

erschienen im Juni 2005 im FIZZZ Gastromagazin