Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Vierk, Sozialpädagoge, Anfang 50, und Skipper des Großseglers „Sieglinde“ im beschaulichen Eckernförde investiert sein kleines Vermächtnis in ein Hamburger Mietshaus. Doch das vermeintliche Schnäppchen am Rand von Eppendorf entpuppt sich als komplettes Fiasko. Vierk ist pleite und braucht dringend Geld.

Der Deal, den Vierk mit der Kiezgröße Rudolfo per Handschlag eingeht, wird sein Leben verändern.

Schon bald schippert seine "Sieglinde" nach Marokko, um von dort eine heiße Ladung nach "Eck" zu bringen. Der Transport fliegt auf und Vierk soll den Schaden ersetzen. Kurz darauf wird Marlies, die abenteuerlustige Tochter seiner Freundin Caecilie aus Hamburg Blankenese, auf St. Pauli entführt. Vierk und Caecilie müssen handeln: Nur ein Mord kann Marlies retten. Doch diese Lösung wird zur Falle. Denn auch der ermittelnde Kommissar Freitag geht über Leichen....

 

Ende der Geschichte sind die meisten der einst unbescholtenen Bürger tot, verarmt oder pleite.

Diejenigen , die ihr Geld mit harter aber nicht nimmer legaler Arbeit verdienen werden belohnt.

Denn das Leben auf St. Pauli ist bunt. Und immer gerecht.

 

Unter diesem Link kann das Buch bestellt werden:

Tote zahlen keine Schulden | Evangelischer Shop (glaubenssachen.de)

 

Leseprobe Kapitel fünf Familienbande

„Und, wie war er?“ Vickys Grinsen war mehr als süffisant. Sie formte ihre vollen Lippen zu einem Kussmund und begann einen imaginären anderen Mund abzuknutschen. „Mmmmh, Diggi …“

„Hey, langsam. Bis jetzt hat er unsere Bude für kleines Geld in Schuss gebracht. Ist doch super, oder?“

Marlies war mit sich und ihrer neuen Welt zufrieden. Diggi hatte die Regale fachgerecht an die Wand gebracht, den Boiler in der Küche repariert und das Scharnier am Schrank unter der Spüle repariert. Und er hatte sie zu Karins eingeladen auf ein Bier. Mit den „Jungs“, wie er sagte.

Marlies war mächtig stolz auf sich. Sie war jetzt ein Teil der großen Familie auf St. Pauli.

Kurz nachdem Diggi seinen Job erledigt hatte, hing er schon bei Marlies am Telefon. Schließlich war er seit einer halben Stunde dabei, den Lohn seiner neuen Chefin bei Karins in Lütt und Lütt zu investieren.

Als Marlies eine Stunde später die Tür zum Lokal öffnete, zeigte die Uhr neben der Bar halb drei – am Nachmittag. Ihr lieber Diggi war bereits mächtig angebreitet. Aus der Musikbox dudelte Ich + Ich: „Wir sind vom selben Stern, ich kann deinen Herzschlag hörn, du bist vom selben Stern wie ich.“

„Meister, guck mal, wer da is, die Marlies. Darf ich vorstellen, meine neue Chefin! Komm Süße, setz dich. Karin, ein Bier für die Dame! Und noch zwei Lütte dazu!“

Diggi hatte seine Baseballkappe wie immer tief ins Gesicht gezogen. Neben seinem Bier lag eine zerknüllte Schachtel Lucky Strike und ein Feuerzeug aus dem Lausen. Karin, die Wirtin des Etablissements, stellte zwei Korn und das gewünschte Bier dazu.

„Du machst heute deinen Deckel klar, mein Lieber!“ Diggi lachte Marlies von der Seite an.

„Klar, mach ich, Karin. Kein Problem.“

„Und wenn du deine Raten für den Sparclub nicht zahlst, bist du nächste Woche draußen!“

Karin deutete mit ihrem verlebten Gesicht resolut auf die hübsch neben der Theke montierten Boxen.

„Stimmt! In zwei Wochen ist Sparclub. Hab ich echt vergessen.“

„Was ist ein Sparclub?“ Marlies Blick glitt ratlos über die 20 Kästchen, die neben dem Regal mit verstaubten Bierund Weingläsern befestigt waren.

„Na, ‘n Sparclub eben“, erklärte ihr Diggi. „Kennt man doch, oder?“

Benno, ein abgewrackter Frührentner zwischen 60 und scheintot, nickte und süffelte sein schales, fast leeres Astra. Marlies fragte besser nicht weiter nach.

„Darf ich vorstellen, Verena? Das ist meine neue Chefin. Die Marlies.“

Verena saß am Fenster, am gegenüberliegenden Teil der Bar. Sie war Ende 40, sah aus wie Anfang 60, und eine der letzten Frauen, die unten am Fischmarkt anschaffen gingen. Eine der beiden lezzten, um genau zu sein. Gemeinsam mit Christine war sie Herrin des Straßenstrichs schräg gegenüber von Lust auf Italien, beziehungsweise, was davon übrig war. Verena hatte keinen Zuhälter, keine Wohnung, meist kein Geld und offensichtlich einen Hang zum Konsum von schlechtem Kokain. Aus ihrer Nase lief unaufhörlich klarer Rotz, und wenn Verena nicht gerade ein zerfetztes Taschentuch vor dem Gesicht hatte, zog sie den Schleim mit halb geöffnetem Mund lautstark durch ihr geschundenes Riechorgan, um den Rest mit dem Handrücken abzuwischen.

Verenas Gebiss jenseits des ersten Backenzahns glich einem Trümmerfeld. Der linke Schneidezahn sowie der dazugehörige Frontzahn fehlten ganz.

„Is was, Süße? Komm, wir trinken nen Piccolo zusammen. Auf Diggis neuen Job! Zwei Piccolo, Karin!“

„Auf deine oder auf ihre Rechnung?“

Karin sah erst zu Verena, dann zu Marlies hinüber. „Natürlich auf ihre Rechnung! Ist sie Diggis neue Chefin oder ich?“

„Und wer Geld kriegt, gibt einen aus, richtig?“ Benno kippte hoffnungsvoll den Rest seines Astras hinunter. „Ich nehm auch noch eins!“

„Du hast doch sowieso kein Geld“, belehrte ihn Karin. „Mach erst mal dein Deckel glatt!“

„Das passt schon, mein Bester. Wir übernehmen das. Nicht wahr, Süße?“

Marlies wusste außer einem gequälten Lächeln in Diggis Richtung wenig zu erwidern.

Verena prostete Marlies mit einem verschwörerischen Lächeln über die Theke zu. „Wir Frauen müssen zusammenhalten auf St. Pauli!“ Dann leerte sie ihr Sektglas, trank den Rest direkt aus der Flasche und bestellte nach. „Proohost zusammen.“

Diggi schüttete den Rest seines Bieres in sich hinein und stieß mit Marlies Korn auf die Runde an.

Benno rülpste süffisant und nahm einen großen Schluck aus seinem frisch gefüllten Glas.

„Hast du mal ne Zippe für mich, Süße?“ Diggis Hand lag jetzt auf Marlies Schenkel.

„Nee, Scheiße, hab ich im Atelier vergessen. Aber Karin hat sicher einen Automaten, oder?“

„Zigaretten gibt’s bei mir direkt an der Bar, Süße. Was darf’s denn sein für die Dame?“

Gauloises blond bitte.“

„Für mich ne große Lucky! Und noch so’n Lütt und Lütt. Prost, meine Süße!“ Diggi sah Marlies prüfend an. „Auge! Immer in die Au-gen, meine Süße“, wusste er und erhob sein Glas.

Marlies hatte weder gefrühstückt noch sonst irgendetwas gegessen. Nach dem zweiten Kurzen wurde ihr warm ums Herz.

Die Tür des Lokals öffnete sich leise und wurde sofort wieder geschlossen.

„Buona Sera.“

Der Südländer war von gedrungener Erscheinung, nicht besonders groß und ging mit einem Gewinnerlächeln auf den vollen Lippen direkt zum Tresen. Verenas Augen weiteten sich. Diggi klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Die Männer gingen ohne ein weiteres Wort Richtung Damentoilette.

Als Diggi zum Klo verschwunden war, wandte Verena sich vertrauensvoll an ihre neue Freundin:

„Bei dem musste aufpassen. Is’n harter Hund. Verrechnet sich auch gern mal. Wenn du weißt, was ich meine.“

Verena zwinkerte Marlies vertrauensvoll zu, rutschte vom Barhocker und nahm sich drei Luckies aus Diggis frischer Schachtel. Beim Anzünden entblößte sie unter der linken Oberlippe einen maroden Backenzahn. Ihr Gesicht war schief, und vom linken Ohrläppchen zu ihrer verrutschten Lippe verlief eine dünne, erst auf den zweiten Blick sichtbare Narbe.

„Kann ich mal dein Handy benutzen?“

„Klar. Also wenn du … also, in welches Netz willst du telefonieren? D2?“

Verena sah Marlies verständnislos an. „D was? Prepaid,

Süße. Bei uns ist das immer Prepaid. Ich mach auch schnell.“

Marlies gab Verena ihr Smartphone. Im selben Moment bereute sie ihre Großzügigkeit.

„Wow, schick. Schick. Dafür muss ich ne Menge Falle schieben, Süße.“

„Ich würde ihr fünf Minuten geben. Sonst telefoniert Frau Piccolöchen die halbe Nacht“, wusste Karin.

„Halt’s Maul. Das is ne Sache zwischen mir und Diggis

Chefin, klar?“

Verena hielt Marlies ihr Smartphone unter die Nase.

„Wie telefonier ich damit? Mann, Mädel. Nur in Hamburg. Kannst dich auf mich verlassen.“

Marlies zeigte Verena, wie man eine Hamburger Nummer anwählt, und blieb demonstrativ neben ihr am Tresen stehen. „Is privat, Süße.“

Marlies reagierte so cool wie möglich und ging zurück zu Diggis nun noch dreiviertel voller Schachtel Lucky Strike.

„Wo ist der eigentlich hin?“, wollte sie von Karin wissen.

„Was weiß ich? Vielleicht die Nase pudern? Ein Ei legen? Willst du noch’n Korn, Süße?“

Marlies nahm einen Doppelten und wartete. Schräg gegenüber an der Tür pöbelte Verena auf ihr Smartphone ein.

„Alte, man. Jetzt rück mein Telefon raus! Ja, du kriegst deine Kohle. Aber ohne Telefon kann ich nicht arbeiten. Ohne Arbeit keine Kunden. Und ohne Kunden keine Gäste, kapito! Ja, Kohle meine ich. Ohne Kunden keine Kohle! Mann ey, ich bring dir morgen die 600, beide Mieten, ohne Sprechen. Meinen Pass? Ich hab keinen Pass mehr, Alte. Verkauft. Und den Ausweis … Meinen Führerschein?“ Verena schien sichtlich amüsiert. „Den hätt ich auch gern wieder. Eingezogen. Ja, das Übliche, Mann. Also, wann krieg ich mein Telefon? Heute Abend? Nein, ich kann dir erst morgen die Kohle bringen. Kapier das doch mal: Ich muss Geld ver-die-nen. Meine Freier machen Ter-mi-ne. Auf dem Autostrich? Nein, auf Apartment, Alte. Wieso Führerschein? Ich hab meinen Stammplatz da unten neben Christine. Kein Auto. Ja, verdammt, Christine hat ein Auto. Den weißen Golf. Ach, leck mich! Ich komm in zwei Stunden in dein Büro. Und lass mich bloß nicht hängen! Ja! Dann komm doch. Bei Karins. Aber erwarte keine Wunder. Ich hab gesagt, morgen!“

Verena starrte wütend auf das Smartphone in ihrer Hand und erhob den Arm. Im letzten Moment erinnerte sie sich, dass es nicht ihr Handy war, das sie gerade gegen die Bar schleudern wollte. Marlies war schnell genug, Verena das Telefon aus der Hand zu reißen.

„Danke, Süße. Nichts für ungut.“

Diggi kam mit dem Italo-Typen vom Klo zurück. Die beiden setzten sich an die Bar und Diggi bestellte noch zwei Lütt und Lütt. Der Typ grinste wie ein Honigkuchenpferd und zog diskret eine Ladung Rotz die Nase hoch. Diggi pulte umständlich ein Stofftaschentuch aus seiner Hose, an dem noch der rote Staub aus Marlies Atelier klebte.

„Danke, Alter.“

„Keine Ursache.“

Marlies Anwesenheit war für Diggi gerade zur Nebensache geworden.

„Hallo.“ Marlies hielt dem Italiener mit den breiten

Nasenlöchern ihre rechte Hand entgegen. „Ich bin Marlies.“

Der Italiener starrte eine Weile vor sich hin, bevor er ihre Rechte in beide Hände nahm.

„Küss die Hand, gnä Frau. Rudolfo.“

Rudolfo berührte mit seinem Daumen Marlies Handinnenfläche und zwinkerte ihr verheißungsvoll zu.

„Incantato.“

„Süße, wir müssen kurz reden.“

Diggi nahm Marlies am Arm und führte sie zur Jukebox.

Verena sah kurz zu Rudolfo über die Bar.

„Hast du was für mich?“

„N’ ordentliches Arschvoll, Frau Piccolöchen, wenn du deine Schulden nicht bald bezahlst!“

„Schon gut, Alter, schon gut. Kommt ja bald was.“

„Hast du’n Euro? Dann können wir das noch mal hörn! Uhu-hu … Du bist mein Stern!“ Diggi sah Marlies tief in die Augen und kam zum Geschäft: „Also, wir hatten 200 gesagt. Die hast du doch dabei, oder?“ Marlies überlegte kurz und nickte.

„Ich brauch aber ne Quittung. Für meine Mutter.“

„Klar, Süße, kein Thema … Naja, und dann den Deckel hier heute, weißt du? Muss Elena nicht wissen. Auch nicht, dass Rufolfo hier war, verstehst du?“

Marlies würde schweigen wie ein Grab.

Diggi streichelte ihre Wange. „Ich hab doch gewusst, dass wir ein gutes Team sind. Und dass ich mich auf dich verlassen kann. Gib mir ‘n Kuss, Süße.“

„Hier? Und wenn Elena kommt?“

„Die kommt selten her. Also, was ist mit meinem Kuss?“

Marlies drückte ihre Lippen vorsichtig in das verlebte Gesicht des Prospekts. Diggis Mund war voll und weich. Seine Zunge schmeckte nach Bier und Korn.

„Kannst du 300 voll machen? War ja wohl nicht das letzte Mal, dass ich für dich arbeite.“

Marlies spürte die ungebremste Wirkung von vier Korn, Sekt und Bier. Der Typ gefiel ihr. Der hatte wenigstens Schneid. Nicht so ein Weichei wie ihr lieber Jens. Sie überlegte, wie viel Geld sie dabei hatte.

„Mit dem Umschlag von Vicky für die Miete müsste ich die 300 zusammenkriegen“, versprach Marlies

„Danke, Süße. Du bist ne echte Perle. Ich muss los. Sonst kommt Elena noch auf dumme Gedanken.“

Als Diggi mit seiner Schachtel Lucky und Rudolfo den schummrigen Keller verließ, blieb Marlies allein mit Verena zurück.

„So sind sie, die Männer, Süße. Nur dein Bestes nehmen sie.“ Verenas Glas war leer. „Nehmen wir noch einen?“

Marlies sah auf die Uhr. Es war kurz nach fünf und ohnehin zu spät für jegliche Aktivitäten. Sie bestellte bei Karin zwei Piccolo und setzte sich zu Verena an die Bar.

Diggis Deckel belief sich auf 75 Euro. Mit den sechs Piccolo, Zigaretten und Bennos Bier präsentierte Karin ihr eine Rechnung über 127,50. Handschriftlich auf einem Kellnerblock. „Sparclub ist nicht mit drin“, versicherte ihr die Wirtin. Marlies plünderte auch die restlichen großen Scheine aus Vickys Mietumschlag und gab Karin 130 Euro.

„Stimmt so.“

„Danke!“ Das heruntergewirtschafte Gesicht der Wirtin strahlte. Sie war eher Trinkgelder von 5 bis 10 Cent bei ihren Gästen gewohnt.

„Sag mal, hast du noch’n Fünfer für Zigaretten?“

Verena sah hoffnungsvoll in den Briefumschlag in Marlies Hand. „Kriegste morgen wieder, garantiert.“

Marlies gab Verena 5 Euro und fühlte sich geschmeichelt. Sie hatte nun eine der alteingesessenen Huren zur Freundin. Und Vicky war schon seit fünf Jahren auf dem Kiez. Marlies hatte bereits nach ein paar Wochen die coolsten Kontakte. Welche ihrer Freundinnen konnte das von sich behaupten?

Als Marlies kurz darauf aus Karins Treff stolperte, wurde es bereits dunkel. Auf dem Weg über die Detlev-Bremer- in die Seilerstraße musste sie sich an einer Hauswand abstützen und schlug kurz darauf der Länge nach auf den schmutzigen Gehsteig.

„Kann ich Ihnen helfen?“ Zwei kräftige Hände hoben Marlies wieder auf die Beine. An das Gesicht des Mannes würde sie sich nicht erinnern. Aber seine Schuhe! Was zum Teufel machte ein Typ mit gelben Budapestern auf dem Kiez?